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NBA: Dwyane Wade: Feuer & Flamme

Mittwoch, 9. Juni 2010

Zu abgehoben, zu verletzungsanfällig, zu schlecht: Dwyane Wade wurde schon abgeschrieben. Doch der Guard tönte vor der Saison: “Die Kritik macht mich stärker!” Als NBA-Topscorer hat er 2008/09 tatsächlich allen Kritikern das Maul gestopft. Und sein Weg scheint noch lange nicht zu Ende.

Fast drei Jahre musste Dwyane Wade auf diesen Augenblick warten. 34 Monate voller Rückschläge, schmerzhafter Verletzungen und herber Enttäuschungen lagen hinter dem Shooting Guard, ehe er endlich wieder einmal jubeln durfte, wenn es um die Wurst geht: in den Playoffs. Mit seinen Miami Heat feierte er im zweiten Erstrunden-Duell mit den Atlanta Hawks am 23. April endlich wieder einen Sieg. Eigentlich kaum zu glauben: Es war tatsächlich der erste Erfolg für Wade und die Heat in einem Postseason-Spiel seit dem Final-Triumph im Juni 2006! Wie schnell die Zeit vergeht. Drei Jahre – schon im normalen Leben eine große Spanne und erst recht im hart umkämpften NBABusiness. In drei Jahren werden komplette Franchises Tausende Kilometer durch die USA transferiert, ganze Spielerkader ausgetauscht und aus Loser-Teams Titelkandidaten (und umgekehrt). Aber ein Finals-MVp, der nach dem größten Erfolg seiner Karriere drei Jahre auf den nächsten Playoff-Sieg warten muss? Nicht auf einen Meisterschaftstriumph oder den Einzug in die zweite Runde, sondern einen einzigen Erfolg in einem einzigen Postseason-Game? Das hat es in der langen NBA-Geschichte noch nie gegeben! Ein Finals-MVp, also ein ausgewiesener Winner, war in der Liga-Historie immer auch in den nächsten Jahren im Meisterschaftsrennen am Start. Es sei denn, er war wie Bill Walton dauerverletzt oder hat wie Michael Jordan seine Karriere beendet. Kein Wunder also, dass die Erleichterung bei Wade nach dem ersten Teilerfolg gegen die Atlanta Hawks gigantisch war. “Für mich war es wichtig, endlich einmal wieder zu gewinnen”, erklärte Wade nach dem 108:93-Auswärtserfolg, zu dem er 33 Punkte beisteuerte. Dabei zeigte sich wieder einmal der Wert des Superstars: Es war das 18. Mal in 19 Partien, dass die Heat gewonnen haben, wenn “D-Wade” mindestens 30 Zähler aufgelegt hat.

Die Rückkehr des Königs

Die Leidenszeit von Dwyane Wade ist also erst mal vorbei. Gleichgültig, wie weit der Shooting Guard seine Heat in der Postseason führen wird – Wade hat sich 2008/09 mehr als eindrucksvoll zurückgemeldet. Er ist zurück im elitären Kreis der weltbesten Spieler. Nach den zwei verlorenen Saisons 2006/07 und 2007/08 wird der All Star wieder in einem Atemzug mit den ganz Großen genannt. Der Heat-Akteur hat nicht nur statistisch betrachtet die mit Abstand stärkste Spielzeit seiner Karriere absolviert, er war auch einer der heißesten MVP-Kandidaten 2008/09. “Ich weiß nicht genau, auf was die MVPVoter bei der Stimmabgabe achten”, sagt Cavs-Star LeBron James. “Aber egal, was es ist: Dwyane hat es.” Und Suns-Coach Alvin Gentry ergänzt: “Dwyane ist der beste Shooting Guard in der NBA. Er hat ein großartiges Comeback gefeiert.”

Wie stark D-Wade aufspielt, zeigen die unzähligen Highlights, die er in dieser Saison abgeliefert hat. Egal ob knallharte Dunks, spektakuläre Blocks oder eiskalte Buzzer-Beater: “Flash” zeigte in den vergangenen Monaten das komplette Programm an Superstar-Moves. Den hilflosen New York Knicks schenkte er etwa im Februar beim 120:115-Sieg satte 46 Punkte ein – und drehte das Spiel, bei dem die Heat im vierten Viertel schon mit 15 Zählern hinten gelegen hatten, mit 24 Punkten im Schlussabschnitt fast im Alleingang. Gegen die Bulls traf er gleich zwei spektakuläre Würfe beim 130:127- Erfolg nach zweimaliger Overtime: Einen Dreier zur Verlängerung und dann noch einen aus dem Lauf zum Sieg! Die Knicks versenkte er anschließend im April mit seiner persönlichen Bestleistung von 55 Punkten – und verzichtete sogar darauf, den Heat-Franchise-Rekord (56 Punkte, Gien Rice) zu brechen: Kurz vor Ende der Partie passte Wade uneigennützig zu seinem Teamkollegen Mario Chalmers, anstatt selbst den Abschluss zu suchen. “Es ist schon fast unverschämt, wie Wade spielt”, lobte Knicks-Coach Mike D’Antoni nach der Mega-Performance. “Er geht in dieser Saison unglaublich fokussiert zu Werke. Es ist unmöglich, ihn zu stoppen. Zurzeit sehen wir den besten Wade, den es je gab.” Und Kobe Bryant sagt leicht metaphorisch: “Dwyane spielt wie eine höllische Fledermaus, die nicht zu fangen ist.”

Das zeigen auch die Saison-Stats: Mit 30,2 Punkten war der Superathlet zum ersten Mal Topscorer der Liga, erzielte zudem 5,0 Rebounds und war mit 7,5 Assists der beste Ballverteiler unter den Shooting Guards. Und das ist noch lange nicht alles: Mit 49,1 Prozent traf er so gut wie noch nie aus dem Feld und versenkte zudem immerhin 31,7 Prozente seiner Dreierversuche. Aus der einstigen Schwachstelle – dem Distanzschuss – ist also inzwischen eine annehmbare Waffe geworden. “Bislang war es immer unser Ziel, Wades Zug zum Korb zu verhindern und ihn schießen zu lassen”, erklärt Cavs-Coach Mike Brown. “Jetzt haben wir eine andere Taktik: Wir versuchen weiterhin seinen Drive zu verhindern – und beten dann, dass er nicht aus der Distanz trifft.” Aber das ist noch längst nicht alles. Auch seine Defense hat Wade auf ein neues Level gehoben. Der schnelle Guard verteidigt deutlich besser und engagierter als in den vergangenen Jahren und gehört bei den Blocks sogar zu den Spezialisten: Als erster Spieler in der NBA-Geschichte, der kleiner als 1,95 Meter ist, hat er mehr als 100 gegnerische Würfe in einer Saison abgeräumt. Bei der Wahl zum besten Verteidiger des Jahres landete der Guard hinter Dwight Howard und LeBron James auf Platz drei. Kurz gesagt: Flash ist zurück in Miami! Er hat seinen Kritikern, die ihn bereits abgeschrieben hatten, das Maul gestopft. Und zwar gehörig. “Es war ein langer, steiniger Weg zurück. Aber ich habe auch nie verstanden, warum ich in den vergangenen Jahren so angegangen worden bin”, erklärt Wade selbst. “Schließlich war ich verletzt. So schnell wie ich wurde noch niemand abgeschrieben. Aber egal, die Kritik der vergangenen Jahre hat mich nur wütend gemacht. Ich war sauer und wollte allen zeigen, was ich draufhabe. Ich denke, das ist mir jetzt gelungen.”

Absturz in Rekordzeit

Bei allen Highlights, Lobeshymnen, Topstatistiken und aller berechtigten Freude über die Topsaison des 27- Jährigen: Die Kritik an ihm in den vergangenen beiden Jahren war mehr als berechtigt! Denn für viele sah es so aus, als würde Wade für den Höhenflug seiner ersten drei NBA-Jahre – vom fünften Draft-Pick 2003 über die RookieÜberraschung bis hin zum Finals- MVP – den Preis bezahlen. Wade war ständig verletzt und verpasste wegen Schulter- und Knieproblemen 2006/07 sowie 2007/08 jeweils 31 Spiele.

weil Co-Star Shaquille O’Neal grottenschlecht spielte! Als der Center während der nächsten Saison getradet wurde, folgte dann der Absturz ins Bodenlose: 65 Niederlagen kassierte Miami 2007/08 – die Heat waren das schlechteste Team der Liga. Ein unfassbarer Absturz in so kurzer Zeit! Logisch, dass sich die Kritiker über die Heat im Allgemeinen und Wade im Speziellen das Maul ordentlich zerrissen. “Wade ist nur noch ein Schatten seiner Selbst und wird nie wieder der Alte”, ätzten die einen. “Es ist traurig, ihn so spielen zu sehen”, erklärten die anderen. Und auch in dieser Saison: “Die Heat werden es schwer haben, sich für die Playoffs zu qualifizieren.”

Alleinunterhalter Wade

Dass es anders kam und die Heat mit 43 Saisonsiegen als Fünfter im Osten in die Playoffs gestartet sind, ist einzig und allein der Verdienst von Dwyane Wade. Denn der Guard ist bei den Heat der Mann für alle Fälle. Scoren, rebounden, Bälle verteilen, motivieren, die jungen Mitspieler führen, verteidigen und in der Crunchtime das Team zum Sieg schießen. Das alles und noch viel mehr war 2008/09 die Aufgabe des 1,93 Meter “kleinen” Mannes. “Bei den Heat schauen alle auf mich”, weiß Wade um den gewaltigen Druck. “Im Locker-Room bin ich der Motivator, und auch auf dem Feld stehe ich im Fokus. Aber solange ich fit bin und auf dem Court mein Können zeigen kann, ist das okay für mich.” Kaum ein Spieler in der Liga ist für sein Team so wichtig wie der Heat-Zocker mit der Trikotnummer drei. Logisch, dass das T-Shirt “MV3″ in Miami ein echter Topseiler ist.

Natürlich ist das Mega-Comeback plausibel zu erklären. Der Hauptgrund ist die wiedergewonnene Fitness des Musterathleten. Erstmals in seiner NBA-Karriere blieb der 98-Kilo-Mann weitgehend verletzungsfrei. Und erstmals bestritt er 79 Saisonspiele – nur beim unbedeutenden Saisonfinale pausierte er zwei Mal. Zuvor musste er nur ein Mal im Märzwegen Hüftproblemen passen.

Das Wade wieder so frisch wie ein Rookie ist, liegt vor allem an einem Mann, der schon dafür gesorgt hat, dass NBA-Legende Michael Jordan mit 38 Jahren noch sein zweites Comeback feiern konnte. Fitness-Guru Tim Grover schuftete nämlich im Sommer acht Wochen lang jeden Tag in Chicago mit dem Heat-Star. “Vorher hatte ich Zweifel, ob ich jemals wieder der Alte werden kann”, erklärt Wade kleinlaut. “Ich war schwer an der Schulter und am Knie verletzt, hatte zwei Jahre in Folge jede Menge Spiele verpasst. Woher sollte ich wissen, wie es weitergeht?” Doch Grover macht den verletzungsanfälligen Star wieder topfit. Dabei stand vor allem die Stärkung der Ober- und Unterkörpermuskulatur auf dem Programm – denn nur mit einem optimal austrainierten Körper ist Wade optimal vor Verletzungen geschützt. “Ich habe gemerkt, dass ich älter werde und nicht mehr alles so schnell wegstecke”, erzählt der 27-Jährige. Also musste ich mehr Zeit in meinen Körper investieren.” Grover analysierte monatelang den Bewegungsablauf und die Schwachstellen an Wades Body und besorgte sich eigens für seinen wertvollen Klienten neues Equipment im Wert von über 200.000 Dollar.

Doch schon bei den Olympischen Spielen im vergangenen Jahr in Peking wurde schnell klar: Das Training hat sich ausgezahlt! Wade spielte glänzend auf und wurde Topscorer im Team USA – und das, obwohl unter anderem LeBron James und Kobe Bryant im Dream Team dabei gewesen sind. Wade hatte seine Aggressivität wieder – auch, weil er seinem Körper wieder voll vertrauen konnte. “Viele haben gedacht, ich hätte verlernt, wie man Basketball spielt. Dabei habe ich trotz Verletzungen immer noch 24 Punkte und sechs Assists im Schnitt erzielt. Jetzt bin ich wieder in einer Position, in der ich mich mein ganzes Leben befunden habe: Ich bin Underdog und werde allen zeigen, zu was ich in der Lage bin.” Und Wade hat seinen Worten schnell Taten Folgen lassen. Nicht nur als Einzelspieler, sondern auch als Mannschaftssportler. Denn sein größter Verdienst 2008/09 war es sicherlich, das junge Heat-Teamzusammenzuhalten und zu führen. Schließlich stehen neben Wade fast nur unerfahrene Youngster wie die Rookies Michael Beasley oder Mario Chalmers in der Mannschaft. Außer Center Jermaine O’Neal und den beiden selten genutzten Backups Jamaal Magloire und Mark Blount hat schließlich keiner im Team mehr als fünf Jahre NBA-Erfahrung! Eine ganz andere Situation als beim Titelgewinn 2006, als Wade fast noch der Jüngste in der Mannschaft war.

2008/09 ist Wade also auch als Leader gewachsen. “Viele Leute unterschätzen, wie schwer es ist, für alles im Team verantwortlich zu sein”, erklärt Kobe Bryant vom Liga-Rivalen LA Lakers. “Man muss sich ständig um jede Sache kümmern.” Diese Erfahrung musste auch D-Wade jetzt machen.

Parallellelen zu Kobe

Nur, bei aller Euphorie: Die Saison 2008/09 kann nur der erste Schritt für Wade 2.0 gewesen sein! Natürlich hat er eindrucksvoll bewiesen, dass er ein Team im Alleingang in die Playoffs führen kann, doch zu einem echten Topteam der Marke Cleveland Cavaliers oder LA Lakers fehlt den Heat noch eine ganze Menge.

Wade, der mit 24 Jahren schon Champion war, befindet sich in einer ähnlichen Situation wie Lakers-Star Kobe Bryant vor ein paar Jahren: Auch der hatte schon in jungen Jahren mit einer Star-Truppe große Erfolge gefeiert, nur um in den Jahren danach festzustellen, wie schwer es ist, den Anführer zu spielen. Denn eine Meisterschaft kann in der NBA kein Spieler im Alleingang gewinnen. Auch kein Wade. Wade muss es in Zukunft also schaffen, seine Teamkollegen besser ins Spiel zu bringen. Wenn das gelingt und die Verantwortlichen im Sommer noch einen oder zwei etablierte Akteure an Land ziehen, können die Heat ähnlich wie die Lakers und die Cavscden nächsten Schritt gehen. Wade muss dann aber auch den richtigen Rhythmus zwischen scoren und passen finden.

Keine leichte Aufgabe für den Superstar, der vor Selbstbewusstsein strotzt. Aber wer nach einer langjährigen Durststrecke ein solches Comeback gefeiert hat, ist sicherlich auch dazu in der Lage. Vielleicht kann sich der NBATopscorer ja im Sommer noch einmal steigern. Obwohl das dann schon fast beängstigend wäre …